KI als Coach

Faszinierend und gruselig: die KI als Coach

Auf LinkedIn ist gerade eine heftige Diskussion im Gange darüber, wie sinnvoll bzw. unsinnig (für manche auch irrsinnig) die Nutzung von KI im Coaching ist. Für mich ist das, was ich davon bisher kenne, faszinierend und gruselig zugleich.

Vorab: Ich verwende KI inzwischen oft und gerne (wenn auch nicht zum Schreiben). Ich lasse mir Routinearbeiten abnehmen und greife auf Spezial-Tools für Aufgaben zurück, die ich nicht so gut und vor allem nicht so schnell hinbekommen würde. Und ich nutze KI zunehmend als Sparringspartner.

Deshalb war ich fasziniert, als ich gestern auf LinkedIn von einer Coachin las, die ChatGPT für sich als Coaching-Gegenüber und auch für ihre Coachingklient*innen einsetzt. Sie stellt ihren Klient*innen sogar eigene KI-Coaches zur Verfügung, damit sie unabhängig von ihr an ihren Themen dranbleiben können.

Die Kritik, die da schon von einigen LinkedIn-Usern kam, konnte ich nur zum Teil nachvollziehen. Dann war sie so mutig, einen Ausschnitt aus einem (fiktiven) Coachingprotokoll zu veröffentlichen, in dem ChatGPT sie in einer für sie stressigen Situation unterstützen sollte.

Ich möchte das Coaching-Beispiel hier nicht zitieren, weil auch der Kontext relevant ist: In der Diskussion, die nach der Veröffentlichung entstanden ist, erklärt Birgit Permantier noch einiges rund um das Beispiel. Deshalb hier der Link auf den LinkedIn-Beitrag (ob er ohne LinkedIn-Konto abrufbar ist, kann ich gerade nicht testen). 

KI als Coach

Dann wurde es gruselig

Anfangs fand ich das, was die KI anbietet, spannend. Das könnte bei mir durchaus auch die wohl gewünschte Wirkung haben.

Allerdings nur, wenn es eine therapeutische Person sagen würde, zu der ich ein tiefes Vertrauen habe. Und die mir ehrlich gemeinten und verlässlichen Kontakt anbietet. Kontakt im Sinne von da seiend, offen, interessiert, nicht wertend, empathisch, Halt anbietend, sich selbst genauso nackt machend wie ich das tue.

Und genau das spielt mir die KI nur vor. Ich glaube ihr das nicht. Wie könnte sie mitfühlend sein? Sie hat keinen Körper, sie hat kein Erfahrungswissen. In meinen Augen tut sie nur so.

Und damit wiederholt sie das, was viele meiner Klient*innen in der Vergangenheit immer wieder erlebt haben: die Abwesenheit von echtem, verlässlichem Kontakt in einer beziehungslosen Beziehung, in der aber gleichzeitig gesagt wurde/wird: „Ich bin doch für dich da“.

Mal ganz davon abgesehen, dass Sätze wie „Lass uns erst dich wieder spüren“ oder „Spür den Boden“ von einer Maschine ohne Sinnesorgane im besten Fall befremdlich sind. Allein das würde bei mir jeglichen Anflug von Rapport in Luft auflösen.

Faszinierend trotzdem

Schaue ich wieder mit Abstand und nicht aus dem Blickwinkel eines Klienten auf das, was ChatGPT da anbietet, sind da schon interessante – nein, nicht Gedanken, sondern Formulierungen, die ich als Anregung nehmen kann.

Wenn ich mich darauf einlasse, die KI als Sparringspartner zu nehmen, als Reflexionspartner, dann sind da Anregungen, Fragen, Formulierungen, die überraschen, die treffen, die mich zum Weiterdenken anregen.

Wenn ich das von den Versuchen der KI trenne, ihr Gegenüber zu beruhigen und das Gefühl zu vermitteln, verstanden zu werden. Dann kann sich ein Raum öffnen, in dem Erkenntnis entsteht, in dem Bewusstheit wächst (beim Klienten, nicht bei der KI). In dem ich neue Perspektiven einnehmen kann, mich und mein Handeln besser verstehe, andere in einem neuen Licht sehe.

Ja, die KI kann meinen Blick weiten, mir neue Sichtweisen und vielleicht sogar neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen.

Also das, was ein gutes Coaching (neben anderem) ausmacht.

Für mich funktioniert das aber nur, wenn die KI mich nicht mit Pseudo-Empathie vor den Kopf stößt und nicht alte Verletzungen wieder aufreißt.

KI als Coach vs. Gestalttherapie und Kontakt

Bei der KI fehlt mir Kontakt

Was im Coaching funktionieren kann, wenn es um Erkenntnisgewinn und neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten geht, funktioniert in der Gestalttherapie, wie ich sie verstehe, überhaupt nicht.

Ja, auch in der Gestalttherapie geht es darum, die Bewusstheit der Klienten zu wecken, zu stärken, zu erweitern. Die Bewusstheit darüber, was sie tun, was sie denken und über sich und die Welt glauben. Denn das ist die Voraussetzung dafür, zu sich zu stehen und sich so zu akzeptieren, wie sie sind – das ist in meinem Verständnis die Grundlage für nachhaltige, tiefgreifende Veränderung

Für das Heilwerden alter Verletzungen reicht das jedoch nicht. Die alten Verletzungen sind sehr häufig dadurch entstanden, dass Kontakt fehlte: der Vater war nicht da, die Familie hat uns nicht so gesehen, wie wir sind – sondern so, wie sie uns sehen wollte, Freunde, Lehrer etc. waren zwar physisch da, aber nicht wirklich BEI uns. All das hat in vielen Fällen zu Beziehungsstörungen, vielleicht sogar zu Beziehungstraumata geführt.

Und solche Störungen oder Traumata lassen sich nur durch echten, tiefen, wärmenden Kontakt heilen. Durch Kontakt, wie ihn ein zugewandter (Gestalt-)Therapeut, eine Therapeutin anbietet. Eine empathische Person, die präsent ist, die nicht wertet, die keine Absicht verfolgt, die in dem Kontext nicht in Kategorien wie falsch oder richtig denkt. Eine Person, die sich (wie ihr Klient) ins Ungewisse wagt, sich auf Unsicherheit einlässt und gleichzeitig die Sicherheit vermittelt, da zu bleiben, was auch immer passiert.

Absichtslos, nicht wertend – das kann eine Maschine. Alles andere: nein.

 

Bildquellen

Die Fotos stammen von den Unsplash-Usern Sindy Süßengut, Brett Jordan und Geon Tavares.

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